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Dieser Text ist der erste Teil eines Berichtes zum Forschungsprojekt Mutter & Lebensbeziehung aus systemischer Sicht und erklärt systemische Grundlagen und Erfahrungen. Den zweiten Teil findet ihr hier: Die unterbrochene Hinbewegung.
Es folgen: Vermeidung und Erfüllung – Spiritualität. Beziehung und Familie im Erwachsenenleben.
DIE MUTTER – DAS TOR ZUM LEBEN
Die körperliche, symbiotische Erfahrung mit der Mutter vor der Geburt und die Geburtserfahrung an sich, die bis heute eine Frage von Leben und Tod sein kann, bleibt eine Erfahrung zwischen Mutter und Kind. Erst wenn das Kind von der Mutter geboren wurde, kommt die körperliche Beziehung zum Vater dazu.
Selbst für diejenigen, die ihre Mutter verloren haben oder aus anderen Gründen keine Mutterbeziehung aufbauen konnten, auch wenn sich Vater und Mutter gleichberechtigt, um das Baby kümmern oder der Vater komplett die Betreuung des Babys übernimmt, bleibt die Mutter die erste Erfahrung im Leben. Denn die Mutter hat das Kind empfangen, es in sich getragen und dann ins Leben hinein geboren.
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Die Mutter ist das Tor zum Leben und hat damit eine erste, besondere Stellung inne.
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Nach der Geburt braucht das Baby die Verbindung und Interaktion mit der Mutter. Es erfährt damit die Bestätigung der Ur-Verbindung. Es erfährt die eigene Existenz über Kontakt und Berührung. Ohne Bezugsperson, existiert es selbst quasi nicht – nur Panik und Entsetzen. Eine zu frühe Trennung von Mutter und Kind führt in der Traumakompensation zu einer Entfremdung zwischen Mutter und Kind – ohne dass Mutter und Kind das wollen.
Die existentielle Abhängigkeit am Lebensbeginn führt dazu, dass wir alles versuchen, um die Beziehung bzw. Bindung zur Mutter nicht zu gefährden. Das Kind sorgt immer wieder für die Bestätigung der Bindung und einer Hinbewegung – entweder indem es sich selbst zur Mutter wendet oder indem es die Mutter dazu bringt, zum Kind zu kommen. In der Beziehung zur Mutter lernt das Kind nach und nach, (1) es gibt mich, ich bin ich und später (2) es gibt mich auch neben/jenseits von meiner Mutter. Die Ich-Entwicklung beginnt.
Auch als Erwachsene bestätigen wir die Bindung, nun in der Regel weniger körperlich und emotional als eher indirekt durch Verhaltensweisen, die uns verbinden oder in Opposition bringen, wie persönliche Vorlieben und Abneigungen, bei Partner- und Berufswahl, Kindererziehung oder auch durch unsere Lebensweise an sich.
DAS LEBEN GEBEN UND NEHMEN
Die Mutter hat uns das Größte – das Leben – gegeben und wir können es nur so, mit Demut vor dem Großen und klein vor den Dimensionen von Leben und Tod, nehmen. Das, was wir von unserer Mutter bekommen haben, geben wir später weiter an unsere Kinder. Es ist entlastend für Mutter und Kind, wenn das erwachsene Kind nicht mit dem Blick auf der Mutter verharrt, sondern auf das eigene Leben und die eigenen Kinder blickt und dort gibt, was es kann. Wenn die Kinder genommen haben, was die Eltern geben können, sich dann in ihr Leben drehen und ihr Leben leben, atmen die Eltern auf. Sie haben ihre Pflicht getan und sind „erlöst“.
In der Beziehung zur Mutter gibt das Kind manchmal zuviel, als könnte es damit etwas im Leben der Mutter ausgleichen, retten oder ungeschehen machen. Manchmal nimmt auch die Mutter etwas vom Kind, was ihr nicht zusteht und eine eigene innere Lücke schließen soll. Das Kind gibt da gerne und bereitwillig und bleibt doch immer hinterher, denn, was die Mutter braucht, kann das Kind nicht geben, es hat es nicht!
Der Fluß des Lebens fließt in eine Richtung vorwärts und so bleibt anzuerkennen, dass die Mutter, dem Kind eben “nur” geben kann und das Kind eben “nur” nehmen kann.
DIE MUTTER IST GROSS UND DAS KIND IST KLEIN
Die Mutter war zuerst im Leben und bleibt darin immer groß. Das Kind kommt durch die Mutter zum Leben und bleibt darin immer klein, der Mutter nachgeordnet. Das Anerkennen bzw. Ehren dieser Lebenstatsache sorgt für Frieden und führt auch dazu, dort nehmen zu können, wo es aus der persönlichen Sicht des Kindes nicht „gut“ war oder nicht „genug“ war. Das Leben ist von der Mutter weitergegeben worden. Auf einer bestimmten Ebene ist das alles, was zählt. Das sieht man dort, wo ein Mensch nicht bereit ist, das Geschenk des Lebens von der Mutter zu nehmen. Er*Sie fühlt sich nicht lebendig und bleibt der Mutter verstrickt inniglicher verhaftet als jemand, der*die die Ordnung anerkennt.
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Das Anerkennen macht frei fürs eigene Leben und ermöglicht Beziehung jenseits der persönlichen Geschichte.
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DIE MUTTER NEHMEN
Die Mutter nehmen – das JA zur Mutter – ist zuerst einmal ein Anerkennen, genau von ihr und unter diesen Umständen das Leben bekommen zu haben. Es ist ein Anerkennen der schicksalshaften (Ver-)Bindung, ein Nehmen des Lebens und ein Ehren bzw. Achten der vorgeordneten Stellung der Mutter im eigenen Leben.
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Das JA zur Mutter ist ein JA zum Leben, wie es ist.
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Wenn die Beziehung zur Mutter nicht einfach war, durch schicksalshafte Ereignisse im Leben des Kindes oder der Mutter belastet war oder persönliche Konflikte vorhanden sind, fühlt es sich auch für das erwachsene Kind noch so an als „kostet“ dieser Akt des Anerkennens zuviel. Der Mangel wird dann als Pfand gehalten und ein Ja erfolgt nicht, solange das Pfand nicht ausgelöst wurde. Die Vergangenheit kann jedoch nicht verändert werden. Ein JA zur Mutter bedeutet immer ein Ja zum eigenen Schicksal und zum Schicksal der Mutter, wie es war. Es braucht also das Anerkennen, dass das Leben genauso kam, mit diesem „schicksalshaften Preis“, den es gekostet hat. Damit einher geht das Loslassen von weiteren Ansprüchen an die Mutter und die Vergangenheit. Das entlastet Beide, Kind und Mutter, und lässt die Liebe fließen. Das Festhalten am Pfand, am Anspruch auf Ausgleich, wo kein Ausgleich (mehr) möglich ist, kostet das Kind die Lebendigkeit und die Lebensfreude.
In gewisser Weise ist das ein Paradox. Die Gefühlssituation des Kindes ist: Das, was Du, Mama, mir abverlangt hast (und bis heute als Erwachsene*r zumutest), war zuviel, und das was Du gegeben hast (und bis heute gibst), war zu wenig. Das erwachsene Kind hält also an einem Anspruch fest. Das Anerkennen, dass die Vergangenheit so war, wie sie war und das Anerkennen, dass die Mutter als Person mit ihren Grenzen so ist, wie sie ist, „kostet“ das Kind die Illusion, dass Warten, Fordern, Ausgleich, Hoffen, möglich und „gerechtfertigt“ ist. Wenn das Kind diesen Anspruch lässt, kommt es wieder in Kontakt zur Mutter und empfängt das Leben. So gibt es also doch einen „Ausgleich“, wenn auch nicht auf der persönlichen, sondern auf der ganzheitlichen, geistigen Ebene. Man gibt das „Pfand“, den Anspruch, zurück und bekommt als Ausgleich die Fähigkeit das Leben mit voller Lebenskraft zu nehmen und zu leben.
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Das Danken ist dabei der Schlüssel: Denn ein Danken, wenn es ernst gemeint ist, kann das Gefühl des Ausgleichs schaffen und macht frei für ein Weitergehen.
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Dieser Text ist der erste Teil eines Berichtes zum Forschungsprojekt Mutter & Lebensbeziehung aus systemischer Sicht und erklärt systemische Grundlagen und Erfahrungen. Den zweiten Teil findet ihr hier: Die unterbrochene Hinbewegung.
Es folgen: Vermeidung und Erfüllung – Spiritualität. Beziehung und Familie im Erwachsenenleben.
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